Eine professionelle Beratungsbeziehung muss aktiv hergestellt werden.

Zu dem, was als "professionelle Beziehung" angesehen werden kann, habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Dabei schließe ich an meine Ausführungen aus dem Artikel Wiederentdeckung eines alten Modells: Grundpositionen der Transaktionsanalyse an.

 

Abplanalp u.a. (2020) weisen darauf hin, dass Beratungsbeziehungen immer auch einen gewissen Grad an (notwendiger) Formalisierung beinhalten (Bezahlung, organisiertes Setting, institutionelle Eingebundenheit etc.) und hieraus ein strukturell bedingtes Maß an Distanziertheit entsteht. Gleichzeitig sei diese formale Distanz und das damit einhergehende „Wissen, dass die Beratungsbeziehung in einem professionellen Kontext angesiedelt ist, dass dabei Standesregeln eingehalten werden und die Interaktion im Privatleben nicht weitergeht, […] wesentliche Voraussetzung dafür, dass [personale] Nähe entstehen kann.“[1] Die formale Distanz hat insofern eine Schutzfunktion für den Ratsuchenden.

 

Die funktionale Asymmetrie lässt sich aber auch im Sinne einer ungleichen Machtverteilung darstellen: Bei der Analyse relevanter gesellschaftlicher Machtquellen i.S. von Staub-Bernasconi (1998)[2] fällt auf, dass diese eklatant zugunsten des Beraters verteilt sind: sozioökonomische Ausstattung, Erkenntnis- und Sprachkompetenz, Bedeutungsmacht, Handlungskompetenz und soziale Beziehungen sind idR. deutlich zugunsten des Beraters bemessen. Der Klient hat in der Regel lediglich einen relevanten Anteil körperlicher Macht auf seiner Seite (er kann z.B. der Beratung fernbleiben).[3] Zudem hat der Klient aktuell Ressourcenprobleme (materiell, sozial, psychisch, …), – ein „Problem“ – weshalb er sich Unterstützung und Hilfe durch eine Beratung verspricht, um diese möglichst zu beheben. Die Beratungsbeziehung stellt somit auch eine Austauschbeziehung dar.[4] Die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Macht führt zu einer besonderen Vulnerabilität des Klienten und damit zu einer besonderen Verantwortung für die Beziehungsgestaltung, den Umgang mit Macht und den Schutz des Klienten beim Berater. (Im Coaching gestaltet sich diese Beziehung übrigens idR. deutlich weniger assymetrisch. Konzeptionell kann die funktionale (weitgehende) Symmetrie geradezu als ein wesentliches Strukturmerkmal des Formats "Coaching" angesehen werden.)

 

Als Charakteristikum von Beratungsbeziehungen kann folglich die Gleichzeitigkeit von formaler Distanz (Asymmetrie) und personaler („gleichwürdiger“, Jesper Juul) Nähe (Symmetrie) gesehen werden und die Herausforderung an die Professionalität, diese ständig auszutarieren und in Balance zu halten.

Zur Herstellung einer guten Beratungsbeziehung reicht es nicht aus, den Klienten lediglich das Gefühl für eine gute Beziehung zu geben, sondern es kommt darauf an, als Berater tatsächlich „eine gute Beziehung, das heißt Respekt, Anerkennung und Verständnis für den anderen zu entwickeln. […] Erst wenn er selbst den anderen ernst nehmen kann, kann er auch beginnen, ihm dies vermitteln zu wollen – und erst dann wird ihm das sein Gegenüber auch glauben.“[5]

 

Eine gute Beratungsbeziehung entsteht somit wesentlich als Folge einer ernstnehmenden Haltung: „Einen anderen Menschen ernst zu nehmen bedarf mehrerer Qualitäten. Wir müssen:

 

• das Recht des anderen anerkennen, seine individuellen Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

• lernen, die Bedürfnisse und Gedanken des anderen aus seiner eigenen Perspektive zu betrachten.

 • uns auf seinen Ausdruck konzentrieren, damit wir uns besser in seine Situation hineinversetzen können, und nicht, um Beweise gegen ihn und seine Wünsche u sammeln.

 • seinem Verhalten mit Verständnis begegnen und unsere eigene Position ernst nehmen.“[6]

 

Nach Carl Rogers (1983) sind insbesondere drei Elemente für eine heilsame und entwicklungsfördernde Beziehung ausschlaggebend:

 

• unbedingte Wertschätzung /bedingungsfreies Akzeptieren,

• Echtheit / Authentizität und

• Empathie.[7]

 

Über die grundlegende Haltung hinaus gibt es weitere hilfreiche Ansätze, einen Beziehungsaufbau (besonders am Anfang eines Beratungsprozesses) zu fördern, z.B.[8]:

 

• positives Setting gestalten (störungsfreier Raum, zugewandte Sitzordnung etc.),

• kurze Vorstellung des Beraters und der Institution,

• etwas Smalltalk: „Wie war der Weg? Haben Sie uns gut gefunden?“,

• nicht sofort über Probleme reden, sondern sich zuerst über Interessen, Ressourcen, Beruf, … kennenlernen,

• explorierendes und „interessiertes Nachfragen“,

• Wiederholen,

• Spiegeln,

• Zusammenfassen,

• auf para- und nonverbale Signale achten.

 

Verhaltensweisen, die dagegen den Beziehungsaufbau stören, sind z.B.[9]:

• Ratschläge: „Ich finde, du solltest…“, „warum hast du nicht …?“

• Noch eins draufsetzen: „Das ist ja noch gar nichts; hör erst mal, was mir passiert ist …“

• Belehren: „Du musst das beim nächsten Mal nur folgendermaßen machen …“

• Geschichten zum Besten geben: „Das erinnert mich an die Begebenheit …“

• Über den Mund fahren: „Lass dich nicht so hängen, lach mal wieder.“

• ‚Bemitleiden: „Ach, du Armer…“

• Verhören: „Jetzt sag mir mal ganz genau, warum du das so getan hast …“

• Verbessern: „So ist das nicht gewesen …“

 

Jenseits dieser Ansätze bleibt es aber wie so häufig im Kern dabei: "Auf die Haltung kommt es an!"[10]

 

 

[1] Ablanalp, Esther u.a. (2020): Beraten in der Sozialen Arbeit. Bern, S. 116.

[2] Staub-Bernasconi, Silvia (1998): Soziale Probleme – Soziale Berufe – Soziale Praxis. In: Heiner, Maya u.a.: Methodisches Handeln in der sozialen Arbeit. 4., erw. Aufl., Freiburg i.B., S. 11-137.

[3] Vgl. Ablanalp 2020.

[4] A.a.O.

[5] Herwig-Lempp, Johannes (2002) - Beziehungsarbeit ist lernbar. Systemische Ansätze in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. In: Pfeiffer-Schaub, Hans-Ulrich (Hg.): Systemische Praxis: Modelle-Konzepte-Perspektiven. Freiburg, S. 39-62.

[6] Jesper Juul (2019): Dein kompetentes Kind. 16. Aufl., Reinbeck bei Hamburg, S. 153f.

[7] Rogers, Carl R. (1983): Therapeut und Klient: Grundlagen der Gesprächspsychotherapie. Frankfurt. a. M.

[8] Vgl. z.B.: Grolimund, Fabian (2017): Psychologische Beratung und Coaching: Lehr- und Praxisbuch für Einsteiger. 2., unveränd. Aufl., Bern.

Plate, Markus (2015): Grundlagen der Kommunikation: Gespräche effektiv gestalten. 2., durchg. Aufl., Göttingen.

[9] Vgl. Rosenberg, Marshall B. (2016): Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. 12., überarb. u. erw. Aufl., Paderborn, S. 97

[10] Albrecht, Ralf (2017): Beratungskompetenz in der Sozialen Arbeit. Auf die Haltung kommt es an! In: Kontext, (48) 1, 45-64.

 

 

 

 

 

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