Darf man "Warum?" fragen?

Die Frage ist das zentrale Instrument der systemisch-lösungsorientierten Beratung. Nach Günther G. Bamberger heißt "lösungsorientierte Beratung [...] nichts anderes als lösungsorientiertes Fragen."[1] Als besonders relevant werden offene Fragen und insbesondere die sogenannten „W-Fragen“ angesehen, weil sie helfen, Details einer Situation, eines Problems etc. zu erkunden. Solche Fragen halten die Kommunikation im Fluss und belassen die Klienten in der Verantwortung. Häufig ist zu lesen, dass die Frage „Warum?“ (und ebenso „Wieso?“ und „Weshalb?“ etc.) jedoch nicht genutzt werden solle und sich mit einer lösungsorientierten Haltung nicht vertrage, „weil sie auf das Herausfinden der ´wirklichen´ Ursachen fokussieren […] und vor allem, weil sie beim Gegenüber gerade aufgrund der Ursachen- und Schuldigenorientierung sofort Verteidigung auslösen.“[2]

 

Ich halte dagegen die Frage „Warum?“ für durchaus hilfreich und mit einer systemisch-lösungsorientierten Haltung vereinbar. Dafür möchte drei kurze Aspekte zur Unterstützung anführen:

 

Erstens bin ich davon überzeugt, dass die Haltung aus der heraus ich berate und coache, deutlich wichtiger als ein Detailwissen über Methoden und Techniken und zudem Voraussetzung für das Lernen und Anwenden von ihnen ist. Die Haltung, mit der jemand Methoden anwendet, bestimmt nach meiner Überzeugung deren Wirkung. Eine Methode wirkt umgekehrt v.a. in der Weise, aus welcher Haltung heraus ich sie anwende (belehrend, fordernd, konfrontativ, partizipativ, lösungsfokussiert, …). Wenn ich aus meiner beraterischen Haltung heraus z.B. nach Ursachen für ein Problem suche, werde ich das tun, auch wenn ich nicht direkt nach dem „Warum?“ frage. Und wenn ich nicht nach Kausalbeziehungen suche, wird das auch mein Gegenüber in der Regel so wahrnehmen. In diesem Zusammenhang kann u.U. ein himmelweiter Unterschied darin liegen, ob ich z.B. frage, „warum tust Du das?“ oder „was glaubst du, warum ist das so?“

 

Zweitens setzte ich die Frage nach dem „Warum?“ manchmal im Sinne einer minimalen paradoxen Intervention ein. Wir neigen dazu, in vielen Fällen eher oberflächlich zu kommunizieren und dabei recht schnell zu unterstellen, man wisse schon, was der andere meine. So geschieht es z.B., dass Menschen uns eine mögliche negative Konsequenz beschreiben, die sie erwarten und vor der sie sich sorgen. „Wenn ich die Prüfung dann nicht bestehe, wäre das die absolute Katastrophe.“ Für die Alltagskommunikation ist das in vielen Fällen ausreichend. Für ein Beratungsgespräch hat sich ein Überprüfen solcher Katastrophenkonstruktionen in vielen Fällen als hilfreich erwiesen. So ist z.B. die vermeintlich einfache und ggf. wiederholte Nachfrage „… und dann?“ eine, die zwar durchaus zu ersten Irritationen führen kann („Dann ist es natürlich schlimm!“), aber entsprechend liebevoll penetrant vorgebracht auch zu einer deutlichen Relativierung des zu erwartenden „worst case“ führen kann. Der Betroffene stellt u.U. zwar fest, dass er z.B. zwar ein Jahr verliert und seinen eigenen Leistungsansprüchen damit nicht gerecht geworden wäre, das Leben aber danach durchaus erträglich weiter verlaufen dürfte … Ähnliche Wirkung kann die Nachfrage „Warum?“ haben, wenn sie z.B. in Situationen eingesetzt wird, in denen die Beratene eine vermeintlich selbstverständliche (Katastrophen-) Hypothese aufstellt und als nicht hinterfragungsrelevant darstellt. „Wenn ich diese Prüfung nicht bestehen sollte, wäre das die totale Katastrophe!“ „Warum?“ Nach meistens eher etwas irritierten Spontanreaktionen erlebe ich immer wieder, dass durch solcherart Hinterfragen eben vermeintlich eindeutiger Gedankenkonstruktionen diese häufig doch ins Wanken geraten und sich immer wieder auch andere Sichtweisen entwickeln. „Es wäre zwar überaus ärgerlich und würde mich traurig machen, aber ich hätte nun eine Perspektive, wie ich mit einem Nichtbestehen halbwegs umgehen könnte …“

 

Drittens – und für mich das zentrale Argument – ist die Erfahrung, dass die Frage „Warum?“ sich in vielen Kontexten hervorragend eignet, um die narrative Konstruktion von Menschen über ihr „Problem“ oder ihre Lebenssituation zu erfahren. „Die Fragen nach dem Warum, wie ich sie einsetze, haben […] nichts mit moralischem Urteil zu tun. Sie spielen eine sehr wichtige Rolle, wenn man Klienten dazu motivieren möchte, die ihnen wichtigen Lebensauffassungen in Worte zu fassen und weiterzuentwickeln.“[3] Welche Erzählungen haben Menschen über sich selbst verinnerlicht? Wenn sie diese Erzählung in einer Beratung oder einem Coaching mitteilen, kann ich damit arbeiten und Impulse für mögliche Erzählvarianten und Neuerzählungen geben. „Die Geschichte – Ereignisse aus der Vergangenheit – können wir nicht ändern. Was getan wurde, kann nicht rückgängig gemacht werden, aber wir können erstaunlich viel Einfluss darauf haben, wie wir unsere Vergangenheit verstehen und was die Ereignisse für uns bedeuten. Die Vergangenheit ist nicht nur ein Buch, in dem Vorkommnisse chronologisch aufgezählt werden. Sie ist eine lebendige Geschichte, die ihre Form dementsprechend ändert, wie sie erzählt wird, welche Bedeutung den Geschehnissen beigemessen wird, wie sie erklärt werden, und je nachdem was man vermutet, welche Folgen sie haben wird.“[4] Und was Ben Furman hier für die Vergangenheit von Menschen und deren Erzählungen darüber beschreibt, lässt sich genauso auch auf deren Gegenwarts- und Zukunftskonstruktionen übertragen. Die Frage „Warum?“ lädt genau dazu ein, dass Menschen darüber berichten, wie sie sich und ihre Umwelt und sich selber in der Welt sehen und darüber denken, was sie als problematisch ansehen, genauso wie was sie als erstrebens- und wünschenswert für sich erachten.

 


[1] Bamberger, Günther G. (2010): Lösungsorientierte Beratung. Praxishandbuch. 4., vollst. überarb. Aufl., Weinheim, Basel, S. 59.

[2] Radatz, Sonja (2013): Beratung ohne Ratschlag: Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. 8., unveränd. Aufl., Wien, S. 172)

[3] White, Michael (2010): Landkarten der narrativen Therapie. Heidelberg, S. 55.

[4] Furman, Ben (2013): Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben. 7. Aufl., Basel, S. 101.

 

 

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